Vollzeit-Vanlife? Einmal so richtig im Wohnmobil leben?
Den Gedanken hatte Bernice überhaupt nicht, als sie nach einem abgeschlossenen beruflichen Projekt eine Reise nach Südafrika antrat.
Wie es zu der Entscheidung kam, anders leben zu wollen, das Haus gegen ein Wohnmobil zu tauschen, wie es ihr mit der Entscheidung heute geht und wie sie ihr Vanlife finanziert, verrät sie dir in diesem inspirierenden Interview: Anders leben- Vollzeit-Vanlife- 11 Fragen an Bernice Bartling.
1. Wie kam es dazu, dass du raus bist aus dem Hamsterrad und rein bist, in dein neues anderes Leben?
Das hat sich einfach so ergeben. Es war keine gezielte Entscheidung. Vanlife, darüber habe ich vorher nie wirklich nachgedacht.
Alles fing damit an, dass mein Partner und ich ein experimentelles Projekt in der Einzelhandelswelt abgeschlossen hatten.
Wir haben unsere Idee einer großen Versicherungsgesellschaft, der ein leerstehendes Gebäude gehörte, vorgestellt. Die fand das innovative Projekt für den Einzelhandel so spannend, dass sie uns mietfrei einen Teil eines leerstehenden Kaufhauses im Stadtzentrum von Haarlem zur Verfügung stellten.
Der Plan war, einen inspirierenden Ort zu schaffen, an dem man den Kunsthandwerkern bei ihrer Arbeit zusehen konnte. Wo Künstler ihre Arbeiten ausstellen können. Ein Ort mit Arbeitsbereichen, Ausstellungs- und Verkaufsflächen, Drohnenwettbewerben, Live-Musik, Foodcourt.
Nicht einfach nur ein Laden, in dem man einkaufen konnte, sondern ein Ort, an dem alle Sinne inspiriert wurden.
Das Experimentelle daran war, dass wir das Geld außen vor gelassen haben. So konnte sich Kunsthandwerker frei entfalten, Kunst zeigen, ohne finanziellen Druck einer Atelier- oder Werkstattmiete im Nacken zu haben und sich Sorgen um eine Ausstellungs- und Verkaufsfläche zu machen.
Wir haben den Laden innerhalb von 6 Wochen nach unseren Vorstellungen umgestaltet. Ohne Geld, aber mithilfe von Leuten, die mitmachten, und mit den Materialien, die uns zur Verfügung standen. Aus dem geplanten kurzen Pop-up-Projekt wurden statt angedachten 6 Wochen 1 1/2 Jahre, da sich der Abschluss des neuen Mietvertrages viel viel länger hinzog, als der Eigentümer des Objektes dachte.
Diese Zeit war unfassbar aufregend, inspirierend und lehrreich, aber auch irre anstrengend und Kräfte zehrend.
Nachdem dieses Projekt beendet war, haben wir uns einen 3-wöchigen Urlaub in Südafrika gegönnt. Da haben wir gemerkt, wie leergesaugt unsere Akkus waren. Hatten wir vor dieser Reise hatten im Hinterkopf, nach der Reise ein ähnliches Projekt an einem anderen Standort zu starten, wurde uns auf der Reise klar, dass wir das lassen werden und stattdessen einen anderen völlig anderen Lebensstil führen wollen.
In Südafrika reisten wir mit dem Mietwagen und nutzten Airbnb-Unterkünfte.
Dadurch kam mein Partner auf die Idee, das auch mal zu machen. Geld verdienen mit Airbnb. Unser Haus für Reisende öffnen. Probieren- studieren, und so.
Der Unternehmergeist und die Vision meines Partners haben einen großen Einfluss auf mein Leben gehabt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Er hat die Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszuschauen und Möglichkeiten zu erkennen. Aber auch die Eigenschaft, alles infrage zu stellen. Zum Glück sind wir diesen neuen Weg eingeschlagen. Den Lebensstil, den wir jetzt führen, verdanken wir hauptsächlich ihm.
Unsere Airbnb-Reise begann mit der Vermietung eines Zimmers im Jahr 2017. Es lief gut und nach einer Weile vermieteten wir zwei Zimmer unseres Hauses. Im Folgejahr begannen wir, im Sommer das ganze Haus zu vermieten. Zeit für uns, selber Urlaub zu machen.
Jetzt, 5 Jahre später, vermieten wir das Haus fast das ganze Jahr über und leben in unseren Wohnmobilen. Meistens in Portugal und in den Niederlanden.
Während der Pandemie brachen unsere Einnahmen plötzlich ein, weil die Touristen ausblieben. Wir mussten uns anpassen, offen und flexibel für Veränderungen sein. Das war der Anfang, unser Haus für einen längeren Zeitraum zu vermieten. Ich musste mich erst an den Gedanken gewöhnen, denn das bedeutete, dass ich richtig ausziehen musste.
Doch schon bald fühlte es sich wie fantastisches neues Abenteuer an. Vanlife. Alleine als Frau in einem Wohnmobil zu reisen. Ursprünglich sollte nur für 4 Monate sein. Aus diesen 4 Monaten sind mittlerweile 2,5 Jahre geworden und ich liebe mein das Leben im Wohnmobil.
Seit 2021 leben wir nun manchmal zusammen und manchmal getrennt. Jeder in seinem eigenen Wohnmobil.
2. Wovor hattest du die meisten Sorgen? Hat dich am Anfang etwas zurückgehalten und haben sich deine Befürchtungen bewahrheitet?
Viele Dinge können beim ersten Mal ein wenig beängstigend sein.
Ja, ich war schon ein bisschen ängstlich, ins Wohnmobil zu ziehen. Ich hatte nicht viel Erfahrungen, wie ein Leben im Wohnmobil ist und ob mir das Vanlife langfristig überhaupt gefällt.
Dann sagte ich mir: am Ende des Tages ist es ist nur ein Camper. Wie schwer kann es sein. Ich denke, es ist wichtig, immer zu relativieren.
Wäre dieses Leben im Wohnmobil so gar nicht meins gewesen, hätte ich mir was anderes gesucht. Natürlich war das erste Mal, als ich alleine im Wohnmobil unterwegs war, ziemlich aufregend und spannend für mich. Nun fühlt es sich ganz normal an. So wie damals, als ich im Haus lebte.
3. Wie haben deine Familie, dein Partner und deine Freunde auf Ihre Entscheidung reagiert?
Freunde und Familie reagierten durchweg positiv.
Es wurde aber auch deutlich, dass dieser andere Lebensstil nicht für jeden das Richtige ist.
Die Aufgabe der Privatsphäre, wenn man sein Haus für Fremde öffnet und Räume teilt, ist nicht für jeden was. Ich kann nachvollziehen. Für mich ist das zum Glück überhaupt kein Problem.
Und dass ein Leben im Wohnmobil nicht für jedermann passt, ist auch nachvollziehbar und gut so.
4. Vanlife und Geld verdienen. Wie finanzierst du deinen Lebensunterhalt?
Im Moment kommt mein Haupteinkommen aus der Vermietung des Hauses, was eine zuverlässige Einnahmequelle ist.
Mein Herzenswunsch ist es jedoch, mich durch den Einsatz meiner Kreativität finanziell unabhängig zu machen.
Meine Leidenschaft ist das Erstellen von Porträts in Form von Mandalas. Einer Kunstform, bei der wertvollen Fotografien meiner Kunden zu komplizierten Designs verschmelzen. Der Prozess, ihre und meine Visionen zum Leben zu erwecken, bereitet mir riesige Freude. Guck doch mal auf meine Webseite. Da bekommst du eine Vorstellung von den bereits entstandenen, wundervollen Kunstwerken.
5. Was ist deine größte Herausforderung im täglichen Leben? Wie sieht ein Vanlife-Alltag aus?
Beruflich gesehen ist meine größte Herausforderung die Umstellung auf ein eigenständiges, nomadisches, kreatives Business.
Die Balance zwischen meinem künstlerischen Schwerpunkt und den Anforderungen des Unternehmertums. Marketing, Finanzen und mehr, stellt für mich eine steile Lernkurve dar.
Das Vanlife bringt zusätzliche Komplexität mit sich und erfordert Anpassungsfähigkeit. Kreativen Menschen mangelt es vielleicht an bestimmten geschäftlichen Fähigkeiten, aber ich bin entschlossen, zu lernen, zu wachsen und ein florierendes, nachhaltiges Unternehmen aufzubauen, das meine Kunst mit Unternehmertum verbindet.
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6. Was sind deine schönsten und schlechtesten Erfahrungen bezogen auf das Leben im Wohnmobil?
Das Leben in einem Wohnmobil hat seine Höhen und Tiefen. Der letzte Winter war eine Herausforderung. Ich hatte ein Gasproblem in Portugal, sodass ich ohne Heizung dastand. Die Reparatur hat aufgrund der Umstände einige Zeit gedauert. Das war kein Spaß, denn obwohl die Winter in Portugal mild sind, kann es morgens und abends empfindlich kühl werden.
Außerdem kann das Alleinreisen manchmal zu Einsamkeit führen, was eine weitere Schwierigkeit darstellt.
Wenn ich dann aber unglaublich schöne Orte in der Natur entdecke und eine Weile einfach da bleiben kann, weil ich einfach alles dabei habe, was ich brauche, macht das alle Widrigkeiten wett. Diese Momente bekräftigen mich dann immer darin, dass der Schritt, im Wohnmobil zu leben, genau der Richtige für mich war. Diese Freiheit, zu leben, wo ich möchte, ist einfach unglaublich befreiend und großartig.
7. Würdest du mit deinem jetzigen Wissen etwas anders machen? Welche Fehler würdest du vermeiden und welche Tipps hast du für Menschen, die raus aus der Tretmühle und rein in einen anderen Lifestyle möchten?
Ich bin ehrlich gesagt immer noch dabei, mir darüber klar zu werden. Klar ist mir die Rolle der Flexibilität geworden. Die Anpassung an verschiedene Situationen haben mich extrem reifen lassen.
Ich kann keine konkreten Fehler nennen, die es zu vermeiden gilt, aber ich möchte betonen, wie wichtig es ist, offen für Veränderungen zu sein. Scheidewege bieten oft Chancen für Wachstum und Flexibilität, die bei mir fast immer zu erfüllenderen Wegen führten.
Sei bereit, deine Pläne anzupassen oder umzuschmeißen und lerne verschiedene Optionen in Betracht zu ziehen.
Letztlich ist die Reise selbst ein Lernprozess. Wenn man offen für Veränderungen ist, kann dies zu unerwarteten und extrem lohnenden Erfahrungen und Situationen führen.
8. 3 Dinge, die Sie auf keinen Fall missen möchten?
Zuallerallererst mal das Offensichtliche: die Liebe und die Verbindung zu Familie und Freunden. Ohne mein Telefon*, meine Lithiumbatterie* und mein Solarpanel* wäre ich in meinem Alltag ganz schön aufgeschmissen.
Ganz ehrlich, diese Frage hat mich nachdenklich gemacht. Zuerst konnte ich keine 3 Dingen nennen, auf die ich verzichten kann. Ich bin kein Minimalist. Ich habe schon viele Sachen in meinem Camper. Aber was ist wirklich wichtig für meinen Komfort?
Mein Kühlschrank* funktioniert beispielsweise schon seit fast einem Jahr nicht mehr. Zuerst dachte ich, dass der so schnell wie möglich reparieren werden muss. Dazu müsste ich die komplette Küche ausbauen. Das ist eine ziemlich große Aktion. Dann kommen Überlegungen wie vielleicht einen moderneren Camper zu kaufen, oder vielleicht doch ein Tiny Haus. Zur Abwechslung. Oder vielleicht doch einfach nur auf eine Kompressorkühlbox* ausweichen. Wie auch immer. Der Kühlschrank funktioniert also zurzeit nicht. Nun kaufe ich täglich ein bisschen ein. Geht auch.
Das Gas-Heizungsproblem im Winter war nicht lustig, aber auch das habe ich geschafft.
Ganz aktuell funktionierte meine Wasserpumpe für ein paar Tage nicht mehr. Da hatte ich eben kein fließendes Wasser, auch dafür gibt es Lösungen.
9. Hast du ein Lebensmotto oder ein Lieblingszitat?
Ich bin ein Zwilling. Ein Teil von mir lebt nach dem Satz von Pipi Langstrumpf „Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe.“
Aber da gibt es auch die andere Seite an mir, die mir das Gegenteil davon flüstert.
10. Hast du einen Lieblingsort, an den du immer wieder gerne zurückkehrst und was macht diesen Ort für dich so besonders?
Mein Lieblingsort ist ein ruhiger, sonniger Platz in der Natur. Nämlich in Falesia an der Algarve in Portugal. Das fühlt sich immer wieder nach Hause kommen an. Diese wunderschönen terrakottafarbenen Klippen bilden einen so unfassbar großartigen Kontrast zum tiefblauen Himmel. Davon kann ich einfach nicht genug bekommen.
11. Ist dein neues, anderes Leben so erfüllend, wie du es dir vorgestellt hast?
Ein klares Jein. Das ganze Jahr über in einem Wohnmobil zu leben, ist für mich gerade stimmig, aber ausschließlich langfristig im Wohnmobil zu leben, ist nichts für mich. Ich möchte ab und zu auf andere Optionen zurückgreifen können und etwas mehr Komfort haben. Eine Zeit lang zu Hause in den Niederlanden in einem Haus zu leben und dann wieder ins Vanlife eintauchen, bringt Abwechslung. Das gefällt mir.
Bonus: Welche anderen Tipps möchten Sie mit mir teilen?
Es ist nicht so sehr eine große Botschaft, aber es tatsächlich total interessant zu sehen, wie wenig man eigentlich braucht und dass man mit Offenheit, Flexibilität und Kreativität unfassbar sehr weit kommen kann.
Liebe Bernice, ich danke dir sehr für dieses inspirierende Interview und wünsche dir für deine Zukunft alles Gute.
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